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Auf dem Weg zur Macht

Politisch interessiert schloss sich der junge Jurist 1872 dem "Liberalen Bürgerklub" an, wo Franz Khunn zu seinem ersten Förderer wurde. Dieser erkannte das politische Talent Luegers und forcierte dessen Wahl zum Gemeinderat im Frühjahr 1875. In dieser Position wurde er aber - gemeinsam mit dem aus einer jüdischen Familie stammenden Gemeinderat Ignaz Mandl - bald zum Kritiker des autokratisch regierenden liberalen Bürgermeisters Cajetan Felder. Nach einer Niederlage auf Bezirksebene legte er sein Gemeinderatsmandat im Herbst 1876 zurück, sammelte unter dem Schlagwort der Korruptionsbekämpfung die kleinbürgerlichen Schichten seines Wahlbezirks und gelangte im März 1878 wieder in den Gemeinderat, dem er nun bis zu seinem Tod angehörte. Mit anderen demokratischen Gegnern des liberalen Stadtregimes gründete er die inhaltlich recht heterogenen "Vereinigten Linken", die er 1880 bis 1882 auch leitete und die u.a. für ein einheitliches Wahlrecht aller Steuerzahler eintraten sowie unter Bürgermeister Julius Newald einigen politischen Einfluss gewinnen konnten. Nach dessen Rücktritt 1882 zerfiel das Zweckbündnis; für Lueger begann eine Phase der Neuorientierung.

Die Wahlreform 1885, die besonders Handwerkern und Kleingewerbetreibenden das Wahlrecht einräumte (Herabsetzung der Bedingung für die Ausübung des Wahlrechts auf eine direkte Steuerleistung von fünf Gulden jährlich) begünstigte Luegers Aufstieg. Ein tief greifender wirtschaftlicher Strukturwandel, die wachsende Abhängigkeit vom liberalisierten Markt und (oft jüdischen) Kaufleuten sowie die Billigkonkurrenz der von (oft jüdischen) Hausierern vertriebenen Fabrikwaren verunsicherten die Gewerbetreibenden und bildeten einen idealen Nährboden für antisemitisch verbrämte Kapitalismuskritik. Der rhetorisch gewandte Advokat konnte sich sukzessive zum unumstrittenen Wortführer dieser Bevölkerungsgruppe machen und passte sein politisches Vokabular dabei zunehmend antisemitischen Klischees an. Der Gebrauch der Wiener Umgangssprache verhalf ihm zu zusätzlicher Popularität bei seinen Wählern.

Eine unter dem Aspekt der Meinungsbildung wichtige Gruppe von Unterstützern wurden jüngere Geistliche. Als Lueger in den späteren 1880er Jahren mit dem christlichen Sozialreformer Karl von Vogelsang und dessen Kreis in Verbindung trat, denen ein in der politischen Praxis erfahrener Wortführer ebenso fehlte wie Lueger eine seine heterogene Anhängerschaft abgrenzende Ideologie, wurde der Grundstein für eine Massenbewegung gelegt. Nach der ersten Fraktionsbildung mit dem Namen "Demokratische Linke" (1886) entstand 1887 das lose Bündnis der "Vereinigten Christen". Dieses heterogene Konglomerat aus (wirtschaftlichen) Antisemiten, Österreich-loyalen Deutschnationalen, traditionellen Demokraten und Reformkatholiken wurde zur politischen Plattform Karl Luegers, aus der die Christlichsoziale Partei entstand. Indem er katholische Sozialreform und wirtschaftlich motivierten Antisemitismus mit seinen ursprünglichen demokratischen Zielsetzungen vereinigte, gewann er nicht nur das kleinbürgerlich-demokratische Wählerreservoir, sondern auch katholisch-konservative Schichten. Einen entscheidenden inhaltlich Impuls übte dabei die Sozialenzyklika "Rerum novarum" (1891) aus.

Bereits im Frühsommer 1885 errang Lueger mit Hilfe einer taktischen Allianz antiliberaler Gruppen ein Reichsratsmandat und zog im Oktober 1890 auch als Abgeordneter in den Niederösterreichischen Landtag ein. Etwa ab Mitte der 1890er Jahre gelang es den Christlichsozialen die niederösterreichischen Kleinbauern politisch zu organisieren und somit ihre städtische Machtbasis entscheidend zu erweitern.